"Ein grosser Geist strebt nach Erkenntnis; ein kleiner Geist nach Praxisrelevanz."

Sonntag SZ
Von Mathias Binswanger 

Seit längerer Zeit schon werden wir in der Deutschschweiz jeden Werktag mit fünf Gratiszeitungen beglückt, die sich 20Minuten, .ch, News, Cash Daily und Blick am Abend nennen. Ein bisschen viel für ein kleines Land in dem täglich wenig bis nichts Aufregendes geschieht. Dieser Ansicht sind auch die Verleger der Gratisblätter selbst. So meinte Sacha Wigdorovits, der Verleger von .ch in einem kürzlich erschienen Interview, dass der Deutschschweizer Markt nur Raum für 2 bis 3 Gratiszeitungen biete.

Also handelt es sich hier um einen Verdrängungswettbewerb, bei dem kaum alle überleben werden. Naiverweise würde man nun annehmen, dass unter solchen Bedingungen jedes der Gratisblätter versuchen wird, sich von der Konkurrenz abzuheben, um so positiv aufzufallen. Doch davon kann keine Rede sein. Das Ziel scheint vielmehr darin zu bestehen, sich möglichst wenig voneinander zu unterscheiden und möglichst verwechselbar zu sein. Überall stösst man auf dieselbe Mischung aus aktuellen Nachrichten, Sport und Prominenten-Klatsch, die auf dieselbe Art aufbereitet und auf dieselbe Art über die Blätter verteilt ist.

Doch halt, jetzt habe ich etwas übertrieben. In Wirklichkeit gilt das bisher Gesagte nur für drei der fünf Gratiszeitungen. Cash Daily ist dank seines auf Wirtschaft getrimmten Inhalts noch langweiliger als der Rest. Und das neueste Produkt, der Blick am Abend, fällt ausser durch den exklusiv präsentierten „Schnügel des Tages“ (brillante Idee!) dadurch auf, dass wohl noch nie in der Schweizer Zeitungsgeschichte so wenig Inhalt auf so viele Seiten verteilt war. Relevante aktuelle Meldungen gibt es kaum. Der Blick am Abend beschränkt sich im wesentlichen auf präfabrizierte Belanglosigkeiten und Secondhand-Meldungen ganz egal, ob es um Politik, Wirtschaft, Sport oder People geht. Das hat allerdings den Vorteil, dass man auch bei sehr kurzen Fahrzeiten von nur wenigen Minuten, die ganze Zeitung lesen kann, ohne dass das unangenehme Gefühl aufkommt, irgend etwas verpasst zu haben.

Hört man allerdings, was die Macher der Zeitungen selbst verkünden, dann klingt es ganz anders. Die Zeitung NEWS wurde beispielsweise mit dem Versprechen lanciert, dass es jetzt endlich eine Zeitung gäbe, die sich auf News konzentriere. So schreibt Philippe Pfister, der Chefredaktor von NEWS, dieses Produkt sei „eine Gratiszeitung, die die spannende, aufregende Welt in Nachrichten und nichts als Nachrichten einfängt. Sie heisst NEWS – und ist genau das: News, News, News.“ Mit andern Worten: NEWS macht einfach dasselbe wie alle andern Zeitungen auch und behauptet, dies sei ein neues Zeitungskonzept.

Für einen Ökonomen bleibt das ganze ein Rätsel. Da versuchen mehrere Verleger sich auf einem angeblich wichtigen neuen Markt zu etablieren, indem sie neue Produkte anbieten, die sich möglichst wenig von den bereits bestehenden Produkten unterscheiden. Kein Wunder, dass der Erfolg dann meist ausbleibt. Aber darum geht es wohl gar nicht?