"Ein grosser Geist strebt nach Erkenntnis; ein kleiner Geist nach Praxisrelevanz."

© BILANZ 18/11 07.10.2011 

Die raffnierten Systeme der Banken, Risiken zu messen, sind Mumpitz. Auch schärfere Modelle bringen keine Besserung. Im Gegenteil. 

Betrachtet man die zur Erfassung von ­Risiken entwickelten Kernkapitalquoten der Schweizer Grossbanken, dann ist die Welt nach der Finanzkrise wieder völlig in Ordnung. Während die Eigenmittel bei CS und UBS 2007 in der Finanzkrise 12 bis 13 Prozent der risikogewichteten Aktiven ausmachten, sind sie inzwischen wieder bei beruhigenden 18 Prozent ­angelangt, was weit über den nach dem Abkommen von Basel II verlangten 8 Prozent liegt. 

Doch: Hat da nicht gerade ein Händler der UBS durch unerlaubte Spekulationen mit verschiedenen Futures auf Aktien mehr als zwei Milliarden Verluste ein­gefahren und dabei seine Risikolimiten ­offenbar völlig unbemerkt weit überschritten? Die Möglichkeit eines solchen Vorfalls stellt ein sogenanntes operationelles Risiko dar, das unter anderem ­direkte oder indirekte Verluste infolge unzulänglicher interner Verfahren, Mitarbeiter oder Systeme erfasst. Solche operationellen Risiken sind, wie sich bei der UBS einmal mehr bestätigte, hochgradig relevant, fallen aber bei der Risikomessung unter den Tisch. Der Grund dafür ist klar: Solche Risiken lassen sich kaum quantifizieren und werden demzufolge in den heute für die Berechnung der risikogewichteten Aktiven verwendeten Risikomodellen nicht ­berücksichtigt. Die UBS-Kernkapitalquote von 18 Prozent entpuppt sich so als schlechter Scherz.

Wenn es aber die UBS nicht schafft, ihre eigenen Händler zu kontrollieren, und diese über lange Zeit unbemerkt Milliardenverluste verursachen können, dann stehen externe Kontrollorgane wie die Finma, welche die Banken mit Hilfe von Kernkapitalquoten überwachen sollen, erst recht auf verlorenem Posten. Ähnlich wie sich der Händler als Einzelner gegenüber der UBS verhalten hat, verhält sich nämlich die UBS gegenüber der staatlichen Überwachung. In beiden Fällen wurde beziehungsweise wird versucht, die wahren Risiken kleinzurechnen oder ganz zu verbergen. Während der Händler die interne Risikokontrolle bei der UBS durch angeblich getätigte Absicherungsgeschäfte an der Nase herumführte, wiegt die UBS selber die Öffentlichkeit mit für sie optimal berechneten Kernkapitalquoten in falscher Sicherheit. Lausbuben gibt es eben nicht nur in Form von natürlichen, sondern auch von juristischen Personen.

Die immer ausgeklügelteren Versuche, die Risiken von Banken exakt zu messen, entpuppen sich letztlich als Kasperli-Theater, mit dem uns ­Sicherheit vorgegaukelt wird. Weder die seit Anfang Jahr geltenden «verschärften» Regeln für Eigenkapitalstandards von «Basel 2,5» noch das für die Zukunft geplante, «noch schärfere» Basel-III-Abkommen werden hier Abhilfe schaffen. Ganz im Gegenteil. Je komplexer die zur Risikoberechnung verwendeten Modelle werden, umso mehr werden sie zur Black Box und umso vielfältiger und raffinierter werden auch die Möglichkeiten der Manipulation. Die Banken setzten nämlich alles daran, die Risikogewichtung so zu gestalten, dass das tatsächliche Eigenkapital (ohne Hybrid­kapital) möglichst tief gehalten werden kann. Das zeigt sich schon an der bisherigen Entwicklung. Im Verhältnis zu den nicht risikogewichteten ­Aktiven betrug die Kapitalquote der UBS Ende 2010 gerade noch 1,63 Prozent, was weit von den Werten um 6 Prozent in den siebziger und achtziger Jahren entfernt ist, als Schweizer Banken nicht nur als sicher galten, sondern es auch waren.