"Analyse ist die Zwangsneurose der modernen Gesellschaft."

© BILANZ 28. 9. 2015

Der Strom der eritreischen Flüchtlinge in die Schweiz ist so gross wie nie. Wegen der Anreizstrukturen im hiesigen Asylwesen dürfte er auch nicht kleiner werden – im Gegenteil.

Kein Thema hat in den letzten Wochen für mehr Aufmerksamkeit gesorgt als die Flüchtlingsströme in Europa. Auch die Schweizer Medien berichteten intensiv darüber, obwohl wir hierzulande bis jetzt kaum etwas von dem neuen Flüchtlingsstrom merken. Aus dem vom Bürgerkrieg heimgesuchten Syrien stellten hier in den ersten acht ­Monaten 2015 gerade mal 1424 Menschen ein Asylgesuch.

Allerdings konnten wir dieses Jahr auch in der Schweiz bis zum August einen deutlichen Anstieg der Asyl­gesuche insgesamt beobachten. Schaut man sich die Zahlen aber genauer an, so sieht man, dass von den rund 20 000 ­Gesuchen mehr als ein Drittel, nämlich genau 7540, aus Eritrea stammen. Die Zahl der Asylgesuche aus Eritrea von ­Januar bis August 2015 ist bereits höher als die knapp 7000 Asylgesuche des ­ganzen Jahres 2014 – wir erleben dieses Jahr einen neuen ­Rekord.

Hoffnung auf besseres Leben

Doch warum ist gerade die Schweiz für eritreische Flüchtlinge so attraktiv? Ausgelöst wurde der Boom vor allem durch einen Entscheid der Asylrekurskommission im Jahr 2005, wonach Militärdienstverweigerer in Eritrea als politisch verfolgt einzustufen sind. Von diesem Entscheid profitiert in Eritrea ein grosser Teil der Bevölkerung. Es gibt dort nämlich den sogenannten Nationaldienst, eine Art Militärdienst, den sämtliche Männer und unverheiratete Frauen ­jahrelang als «Zwangsarbeit» absolvieren müssen.

Dank der Möglichkeit des Asyls in der Schweiz wurde der Zwang zum Nationaldienst jedoch zu einer dauernden Fluchtchance. Wer den Nationaldienst verweigert oder desertiert, erhält in der Schweiz Asyl oder wird zumindest vorläufig aufgenommen. Damit wurde ein starker ­Anreiz gesetzt, die Flucht in die Schweiz zu wagen, statt jahrelang eine unattraktive, mühsame und schlecht bezahlte ­Arbeit zu verrichten. Denn in der Schweiz besteht immerhin die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Bestehende Anreize beseitigen

Doch nicht nur die Asylsuchenden selbst profitieren von ihrer Flucht. Auch das dortige Regime zweigt einen Anteil für sich ab, indem es bei den Flüchtlingen in der Schweiz gemäss mehreren ­Medienberichten eine sogenannte «Diaspora-Steuer» erhebt. Und dann kommen noch die ganzen Schlepperbanden dazu, welche die illegale Flucht aus Eritrea organisieren und dafür kräftig abkassieren.

Aufgrund der gegebenen Anreizstrukturen besteht bei allen Beteiligten weder ein Interesse an einer Änderung der Situation in Eritrea noch an der Schaffung von Transparenz darüber, inwieweit Menschenrechte dort tatsächlich verletzt werden. Auch der neueste Bericht des ­Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom Juni 2015 ist nicht in der Lage, Licht ins Dunkel zu bringen.

Was kann also getan werden, um die bestehenden Anreize zum Massen­exodus in die Schweiz zu beseitigen? Grundsätzlich gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Entweder man leistet einen Beitrag dazu, das Leben in Eritrea attraktiver zu machen, oder man macht die Flucht in die Schweiz unattraktiver. Da wir im Moment weder das eine noch das andere tun, wird der Strom der Migranten aus Eritrea in Zukunft wohl noch weiter ansteigen.