"Wirklich wichtige Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass es keine Antwort auf sie gibt."

© Neue Zürcher Zeitung, 1. November 2017
Der Wettbewerb bei den Krankenversicherungen schafft keine Transparenz. Vermittler wollen uns zum Kassenwechsel bewegen; die Kassen erschweren den Vergleich durch künstlich diversifizierte Angebote.
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Kaum wird es Herbst, flattern nicht nur massenhaft Bettelbriefe von mehr oder weniger wohltätigen Organisationen in den Briefkasten, sondern es beginnt auch die grosse Jagd auf die Prämienzahler bei den Krankenkassen. Eine ganze Heerschar von Versicherungsmaklern und Vergleichsportalen versucht uns mit Telefonanrufen, Briefen, E-Mails und über Social Media dazu zu verleiten, die Krankenkasse zu wechseln und Zusatzversicherungen abzuschliessen. Denn alle diese Vermittler, unter denen sich auch viele Vergleichsportale wie Comparis.ch oder 123vergleich.ch befinden, verdienen an Provisionen, welche sie für die Vermittlung von Neukunden bei der jeweiligen Versicherung erhalten.

Gemäss einem Bericht der «Aargauer Zeitung» im Oktober letzten Jahres werden bis zu 150 Franken für die Vermittlung einer Grundversicherung bezahlt. Dabei sind die Provisionen zum Teil auch von der Höhe der gewählten Franchise abhängig. Denn wer hohe Franchisen wählt, ist tendenziell jung und gesund und damit der ideale Kunde für eine Krankenkasse. Für Vermittler wäre es also ideal, wenn alle Schweizer jedes Jahr die Krankenkasse wechselten. Aber Schweizer Bürger sind traditionell nicht sehr wechselfreudig und werden deshalb seit Jahren aggressiv bearbeitet. Und die Bearbeitung zeigt Wirkung. So rechnet Comparis.ch dieses Jahr erstmals damit, dass mehr als eine Million Schweizer ihre Krankenkasse wechseln werden, während es letztes Jahr «erst» 700 000 waren. Kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen Vergleichsportale wie Pilze aus dem Boden schiessen und Comparis.ch inzwischen nur noch einer von vielen Anbietern ist.

In Wirklichkeit wird aber bei der Krankenversicherung im obligatorischen Bereich von jeder Versicherung das Gleiche offeriert: Bezahlung der im Krankenversicherungsgesetz definierten medizinischen Leistungen. Dieses Produkt wird aber von jeder Versicherung in verschiedenen Formen angeboten. So haben sich mittlerweile neben dem Standardmodell mit freier Arztwahl auch HMO- (ich darf nur zur vorgeschriebenen Gruppenpraxis), Hausarzt- (ich darf nur zum vorgeschriebenen Hausarzt), Telmed-Modelle (ich muss vorher anrufen, ob ich mich wirklich behandeln lassen darf) etabliert. Und ständig kommen weitere Modelle dazu. So gibt es mittlerweile auch ein PPO-Light-Modell (ich darf nur zu billigen Ärzten) oder das von der Swica angebotene Apotheken-Modell (ich muss zuerst eine Apotheke aufsuchen, bevor ich allenfalls zum Arzt darf). Bei allen Modellen wird die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen erschwert oder eingeschränkt, indem man verschiedene Hürden einbaut. Die Herausforderung für die Versicherer besteht darin, diese Beschränkungen so zu wählen, dass sie den Bezug der Leistung möglichst verhindern (gut für die Versicherer), aber nach aussen möglichst gering erscheinen (attraktiv für die Versicherten). Also muss jeder Versicherte in einem schwierigen Selbstfindungsprozess herausfinden, welche Beschränkungs-Preis-Kombination für ihn ideal ist. Zum Glück bieten die Vergleichsportale hier ebenfalls Hilfestellung mit Abhandlungen zum Thema «Welches Modell passt zu mir?».

Doch das Herausfinden des geeigneten Modells ist nur ein erster Schritt bei der langen Suche nach der richtigen Versicherung. So kann ich beispielsweise bei Comparis.ch relativ leicht herausfinden, welche Krankenkasse ein HMO-Modell mit einer Franchise von 2500 Franken am günstigsten anbietet. Doch ich möchte ja eine Versicherung, die nicht nur billig, sondern auch zuverlässig und kundenfreundlich ist. Also schaue ich als Nächstes bei den Bewertungen und muss dann häufiger feststellen, dass die billigste Variante einen erheblichen Anteil schlechter Beurteilungen hat. Folgerichtig suche ich weiter nach einem etwas teureren, aber gut bewerteten Angebot. Doch wenn ich dieses gefunden habe, werde ich wahrscheinlich wieder unsicher: Stimmen denn die Bewertungen tatsächlich, und sind sie wirklich unabhängig? Also gehe ich als Nächstes zu einem anderen Vergleichsportal, schaue mir die Bewertungen dort an und merke, dass sie nicht übereinstimmen. Deshalb schaue ich noch bei einem dritten Vergleichsportal und weiss trotz grossem Zeitaufwand immer noch nicht, welches Angebot das Beste für mich ist.

Der Wettbewerb auf dem Versicherungsmarkt schafft somit keine Transparenz. Vermittler haben einen Anreiz, uns ständig zu einem Wechsel der Krankenkasse zu bewegen. Krankenkassen haben wiederum einen Anreiz, diesen Vergleich durch künstlich diversifizierte Angebote zu erschweren. Wenn das Vergleichen zu einfach wird, werden die Kunden die Spreu zu schnell vom Weizen trennen. Und man möchte ja auch mit Spreu noch etwas verdienen. Und der Nutzen von Vergleichsportalen wird umso grösser, je unübersichtlicher die Angebote der Versicherungen sind.